oder Das Grenzenlose
Medea ist eine der schillerndsten Frauen der antiken Mythologie. Sie handelt, sie geht Risiken ein, sie liebt und sie macht sich schuldig. Cordan erweckt diese starke, große Frauengestalt zu neuem Leben: In einer sehr ästhetischen, rhythmischen Sprache entführt er uns in die abenteuerliche Welt der Argonauten und der Eroberung des Goldenen Vlieses. Zugleich erzählt er von der Geburt einer neuen Epoche, aus der mythologischen entsteht die Welt des Logos, des Lichtes, die hellenische Welt. Der Roman handelt damit gewissermaßen von der Geburtsstunde Europas.
Aus dem weiten Komplex der Medea-Mythen wird hier gewissermaßen nur der Anfang erzählt, die abenteuerliche Reise, das Kennenlernen und die Liebe Jasons und Medeas.
Wolfgang Cordan (1909–1966) war Schriftsteller, Sprachforscher, Naziverfolgter, aktiver Widerstandskämpfer. Sein Roman »Medea oder Das Granzenlose« erschien erstmals 1952.
Das Covermotiv und die weiteren Grafiken im Buch wurden für die Originalausgabe angefertigt und stammen von Kurt Craemer.
Aus einer Rezension in der ZEIT vom 4.12.1952:
»...Hier ist es gelungen, einen mythologischen Stoff in Romanform zu gestalten, und zwar – das ist das Einmalige daran – mythisch zu gestalten. Cordan nimmt die Ergebnisse moderner Mythenforschung, wie sie sich in den Arbeiten Kerenyis darstellen, nicht nur in sein Werk auf, sondern er kann auch die mythische Wirklichkeit und Weisheit als lebendiges Geschehen bildhaft geben. Wenn er, fußend auf das Apollonios Rhodios’ „Argonautika“, den Raub des Goldenen Vlieses, die Flucht Jasons und Medeas, die abenteuerlichen Fahrten der Argonauten (etwa ins Land der Amazonen und auf die Insel Kirkes) und die endliche Landung in Hellas erzählt, so vollzieht sich in diesem spannenden Geschehen von Menschen und Göttern das Werden einer neuen Welt- und Menschenordnung. Aus den dunklen, ungestalteten Ursprüngen grenzt sich die lichtere griechische Welt ab, die aber wiederum nicht ohne Berührung und Bewährung am Grenzenlosen und Ungeheuerlichen bestehen kann. Cordans Kunst vermag es, diese Weltwende und Stiftung einer neuen Ordnung ganz untheoretisch zu bannen in die Bilderwelt eines genußreich zu lesenden Romans, der sich auszeichnet durch eine sinnlich blühende und zugleich disziplinierte, unverbrauchte und dichte Sprache. Man spürt, wie das mythische Element, das ja das Element der Dichtung schlechthin ist, den Verfasser mit einer teilweise schon visionären Bildkraft inspirierte.« Rudolf Ibel
Leseprobe
(Erstes Kapitel)
Der Mantel des Jason
Hier begann unendliches Schicksal. Medea wusste es, hinter ihrem Schleier, starr, ohne Speise, ohne Wort an der Seite des Vaters. Denn Frauen schweigen in der Runde der Männer. Auch berühren sie keine Speise: Wie dürften sie sich als Zehrende zeigen, als Hungrige also, sie, die – später – verzehren werden, ganz, die Speisenden, die Männer? Starr also hinter ihrem Schleier saß Medea und wusste: Hier beginnt unendliches Schicksal. Ob es Aietes, der Vater, wusste?
Mächtig thronte der im goldenen Königsmantel an der Spitze der riesigen Tafel, auf dem Sessel thronte er aus kaukasischer Eiche, dem braunen, mit den Rändern rot wie Blut. Rot waren auch die Hörner des jungen Stieres auf seinen Schläfen, zwischen ihnen aber strahlte golden die erlauchte Scheibe, golden glänzte sie, die ruhmreiche Zierde des Heliossohnes. Gleich der Sonne funkelte sie zwischen den Hörnern des jungen Stieres, wie die Sonne selbst zwischen den Felsentürmen des Hafenrundes, wenn sie die Ragenden purpurn färbt im Aufstieg und Untergang; und wie die Schatten der fliehenden Nacht waren die schwarzen Locken des Vaters, des Königs, des Heliossohnes, wild wogend um die goldene Scheibe.
Ob er wusste, ob er ahnte? Er lachte und hob den Pokal aus Bernstein mit dem Fuß aus Lazuli; Meer und Sonne erhob er gegen Telamon und lachte: »Gewiss missgönne ich euch nicht den Segen der Tafel, alles ist reichlich bereitet, wie Hermes es mir im Traume befahl. Sättigt euch, liebe Freunde, dort jene Schüssel von Wachteln ist noch ganz unberührt. Aber du, gewaltig an Stärke und auch, wie mir scheint, gewaltig an Worten: Ist nicht der erste Hunger gestillt nach langer, müdender Fahrt? Berichte. Nur zuwenig verrietet ihr uns von euren unsäglichen Abenteuern. Bedenke: Wenn auch Männer wohl schweigen und stumm miteinander trinken und stumm die Lenden zerreißen von gebratenem Getier – bedenke die Gattin an meiner Seite und dort Medea, und auch Chalkiope, die Schwester. Bedenke: Sie essen nicht, aber wie hungrig sind sie nach Worten.«
Telamon lachte nicht. Ernst erhob er seinen Becher: »Das danke ich dir, Aietes, diesen Zutrunk aus kostbarer Schale in Blau und Gold. Mein Becher ist schlicht, vom Holz einer dordonischen Eiche, keinen andren gebrauche ich je. Aus einem Stamme ist er des heiligen Haines wie auch der Kiel unsrer Argo, aus Dordona stammt er, von den Bäumen des Zeus. Lass mich meines Ahnen also gedenken, im goldenen Stein deines Pokales lasse mich seiner erinnern, des Herrschers der Himmel. Und die liebliche Ahnin auch, die wasserbewohnende Nymphe, die aus dem Blau mir spricht in deinen umschließenden Fingern. Die Ahnin also grüße ich und den goldenherrschenden Zeus.«
Telamon schwieg kurz und schaute in seinen Becher. Dann blickte er auf und sah Aietes fest an: »Das aber, was unsre Gefäße umschließen: den schwarzen kaukasischen Wein, möge den Vater mir rufen, Aiakos, den Unvergesslichen, den Gerechten hier auf der grünenden Erde, gerechten Richter nun im Reiche der Schatten. Also denn gelte der Trunk dir Sonnensohn, dass Zeus, der Schirmherr der Gäste, über uns walte und nie einen von uns zornig ins Dunkle sende, nach Streit und blutiger Fehde, gebrochenem Gastrecht, dass niemals gesenkten Hauptes wir vor den Vater unten im Hades treten müssen, dass er uns richte: dich und mich. Dem gelte dein Trunk, dem gilt mein Trunk.«
Wie aus einer Kehle brach der Lobschrei der Tafelnden auf. Auf sprangen alle Argonauten und alle kolchischen Helden; da sie aber die Waffen abgelegt hatten, als Freunde, und also zu freudigem Lärmen nichts hatten, stießen sie hart die getriebenen Gefäße gegeneinander, es hallte der Saal von edlem Metall und den Stimmen der Männer.
Nur Eine erschrak, Medea, und sie pries den Schleier, der ihr Erblassen verhüllte. Denn was wollte der Anruf des Hades, was die Anrufung des gastlichen Zeus? Hier begann unendliches Schicksal. Vielleicht entfaltete sich hier der Tod? Aber vorher entfaltete sich stets das Leben. Sie sah auf Jason und sah, dass sanfter rötlicher Flaum ihm Wange und Kinn bedeckten. Im ersten Flaum sind die Jünglinge am schönsten, sangen die Sänger an Vaters Kamin. Schnell blickte Medea zu ihrem Vater. Der ahnte wohl nichts, denn eben bat er zum zweiten Mal Telamon, von den Fahrten der Argo, von Fährnis und Triumph zu berichten.
»Denn ich kenne die Mühsal des Weges«, sagte Aietes, »die Widrigkeiten und Hinterlagen, flog ich gleich im Wagen von Vater Helios dahin, damals als wir Kirke, die teure Schwester, zu ihrer Insel versetzten, fern im tyrsenischen Meer. Erzähle denn, Enkel der wasserbewohnenden Nymphe.« Und lächelnd ließ Aietes seine Finger über den blauschimmernden Fuß seines Pokales gleiten.
Telamon antwortete nicht sogleich. Er hatte eine der angepriesenen Wachteln ergriffen und, ohne sie zu zerreißen, die weißen Zähne ins duftende Fleisch geschlagen. Thymian schmeckte seine Zunge, aber auch andere Kräuter, die er nicht kannte. Noch einmal grub er den Mund in den wohlbereiteten Vogel, dann warf er ihn achtlos zu Boden. Sogleich goss der bedienende Knabe kühles Wasser über die braunen Hände des Speisenden und neigte sein Haupt zu dem mächtigen Mann. Der antwortete endlich, während er seine Finger an den langen, weichen Haaren des Dienenden trocknete: »Willst du, dass ich prahle? Dass ich die Freunde, und mit ihnen mich, rühme und erhebe? Ich bin ein einfacher Mann. Über diese Erde gehe ich, solange meine Zeit reicht, sie zu reinigen, sie zu befrieden. Eingedenk vor allem der Oberen und der Unteren, die alle Wunder schufen, die wir Leben nennen. Ich bin ein einfacher Mann, und meine Zunge ist nicht geübt im Berichten. Und wenn ich spräche, würde es Unrecht an Jason und allen Gefährten. Denn einer wie ich spricht von dem, was ihm widerfuhr. Es sitzt aber der unter uns, der alles, in schönster Rede, in klingenden Versen gar, dir singen wird, wenn du es wünschst: Orpheus dort, der alles verklärt, was geschieht, und der schon sicher in seinem Geiste Verse trägt von uns, von sich und von allen. Er möge sprechen, singen vielmehr, aber später, wenn wir mit schwarzem Wein um das lodernde Feuer vereint sind. Er soll es tun, er kann es, nicht nur weil er es kann, sondern weil Dichter von jeglichem handeln, auch wo es sie selbst betrifft, aus unendlichem Abstand, ich glaube: Stets fliegt ihr Geist, wenn der Geist sie befällt, auf zu dem Helikon, wo ja die Musen wohnen und weithin schauen. Vielleicht gibt deine Mutter, o Orpheus, die Verse dir ein, die sehr zu verehrende Kalliope?«
Alle lachten, Orpheus wohl am lautesten, Telamon aber fuhr fort: »Es ist merkwürdig: Wenn du mich fragst, Aietes, sehe ich nur Bilder, einzelne Bilder von all den Begebnissen. Ich bin ein einfacher Mann. Von einem Kampf sehe ich nun eine Lanze, wie ich sie fing mit meinem Rundschild, und ein Schwert, das ich parierte. Und – da ich noch lebe – den Schleier, plötzlich geworfen über das Auge des Gegners, wenn ich ihn tödlich traf.«
Telamon trank aus dem Becher von Holz, ein Schluck war ein Becher. Und sogleich füllte der dienende Knabe nach. Diesmal hielt ihn Telamon fest und umspannte mit seiner riesigen Faust den Arm des Jungen.
»Um ein Held zu werden, musst du noch eifrig üben«, sagte er streng, aber mit einem Lächeln. Und zu Aietes: »Eines solchen gedenke ich, König. Das ist eines der Bilder. Und es war bei dem Aufbruch aus dem Hafen der Heimat, Pagasai. Jammernd standen die Weiber am Ufer und streckten verzweifelt die weißen Arme nach uns, den Enteilenden. Auf den Bergen aber erschienen die Nymphen und jauchzten, aus dem Himmel schauten die Götter aufs Schiff. Orpheus schlug die Leier, und nach seinem Takte warfen wir uns in die Ruder. Wie das Meer brauste, wie die bläuliche Salzflut aufschäumte am Bug! Hell glänzte im segnenden Licht deines Vaters, Aietes, alles Metall am Schiff, wie Flammen sprühten die Klampen und Ringe, und weiß leuchtete der Sog, wie ein Pfad, der hell im Frühling durch die Veilchen von Delphi läuft. Und da erschien Chiron, der Gewaltige, unsres Führers Erzieher, in atemlosem Galopp erschien er aus der Entrücktheit seiner Täler und Höhlen, durch die Wogen hin vernahmen wir den Viertakt seiner Hufe. Er trabte bis in den Gischt der Brandung. Und da wir alle, an den Rudern, ihm zugewandt waren, winkte er uns, mit seiner strengen Rechten, zum Meer wies er, ostwärts wies er, zu deinem Lande wies er, Aietes, und der Schaum netzte ihm die braune Brust. Ah, ich weiß, dass seine Augen glänzten, konnte ich sie gleich nicht mehr erkennen. Plötzlich aber hob er von seinem kentaurischen Rücken, ihn, der sich festhielt am Nacken des Göttlichen, den Knaben, einen Knaben wie diesen« – Telamon rüttelte den Dienstbaren, den er noch immer hielt: Es war gut gemeint, aber der Arme schwankte wie ein Rohr im Wind, stieß gar einen leichten Schrei aus, denn die furchtbare Faust hatte wohl kräftig zugepackt – »und hob empor und zeigte uns, hoch erhoben in beiden Händen, Achilleus, ihn, den Sohn des Peleus hier, unsres Genossen, und der Herrin der blauen Tiefe, der Thetis. O, Aietes, offen bekenne ich es, wild schlug mein Herz. Vor diesem musst du bestehen, rief ich mir zu, der nach dir kommt und auf dich sehen wird. Was ist Ruhm denn andres als der Blitz, der die Knaben erleuchtet, die an deiner Asche weinen werden? Möge mein Ruhm ihn entzünden, für den Gewaltiges planen die Moiren und alle Götter des schneeverborgnen Olympos. Denn sie erschienen ja alle zur Hochzeit des Peleus, alle Himmlischen, und Apollon, er selbst, rührte die Leier und kündete des Ungeborenen Glanz. So auch kündeten der Rauch von Delphi und die Wasser von Delos, so rauschen die Eichen im Hain von Dordona. Ihn also erhob der Kentaur, und der Knabe ballte die Fäuste. Dabei lachte er. Wahrhaftig, er lachte.«
Telamon leerte den dordonischen Becher aus Holz. »Habe ich geschwärmt?« fragte er rau. »Er wird größer als jeder von uns. Das sagen alle Orakel. Er wird der Blitz in der Seele der Knaben.« Herrisch hielt er dem Dienstbaren den Becher hin.
Größer als diese alle? dachte Medea, verhüllt hinter ihrem Schleier. Und sie ließ ihre Augen um die Tafel wandern. Größer als all diese Söhne von Göttern, Nymphen und Königen? Peleus dort, des Telamon Bruder, der Schwinger der riesigen Lanze, die keiner zu schleudern vermochte, Enkel des Zeus er und Gatte der blaulockigen Thetis. Mit dieser hatte er jenen also gezeugt, den Knaben, der größer werden sollte als alle Helden an dieser Tafel? Größer als Kastor und Polydeukes da, die unzertrennlichen Söhne des Zeus und der Leda? Größer als jene anderen Zwillinge, Zetes und Kalais, die Söhne des Nordwinds, von denen man sagte, sie flögen dahin wie die Winde? Sie hatte sie wohl bemerkt, Medea, beim Eintritt der Gäste, die schwarzen Flügel der Brüder, mit goldenen Riemen an die Knöchel der sehnigen Füße geheftet. Und Amphion da, der Theben erbaute? Und Argos, der Kundige, der Erbauer des Schiffes, das jetzt auf der Insel vorm Hafen ruhte, auf weißem Sande ruhte und gekommen war – zu welchem Ziel?
Es gab ein Ziel. Medea wusste es. Nicht ohne triftigen Grund waren jene so weit gereist und in solcher erlauchten Gemeinschaft. Das war ja alles, was Namen trug, dort in dem strahlenden Hellas, Mopsos, am Ende der Tafel, der alle Rede der Tiere verstand und Lynkeus zu seiner Rechten, der durch die Mauern sah und alles Metall in der Erde. Nur jener fehlte billig, der diesem Hause zu nahen wohl niemals gewagt, dessen Name ein Fluch hier war und Gedanke an blutige Rache: Theseus, schändlicher Taten auf Kreta schuldig, Mörder, Zerstörer der Ordnung, ein ganzes Reich verwüstend durch die blutige Untat, den labyrinthischen Mord, das Wunder tötend, das kostbare Wunder: Minotauros, an dessen Lager zu sitzen Medea immer geträumt hatte. Wie der Rohe in alle Ordnung gefahren war, alles verwirrte, Gesetze zerschnitt wie ein Garn, leichtfertig und unbedacht wie ein Knabe, nicht bedenkend, dass dort eine Welt ganz gewesen war. Eine Welt wie hier, wo noch Unten und Oben verknüpft, wo die Geister der Nacht noch wirkten in schönem Gleichgewicht mit dem Gold des Tages, wo die Wurzelgeister verborgen sich mühten, das Wachsende in das Licht zu treiben, grün und üppig, voller Blüten und Frucht, zu glücklicher Landschaft, wo die Dunklen dem Sohne des Helios dienten, Aietes, dem Vater. Also war es auf Kreta gewesen, und des Vaters Schwester hatte dort verknüpft, die allenleuchtende Pasiphae. Nun war sie entrückt, ihrem Sterblichen selbst den Tod gebend, das Reich war zerstört, Unordnung herrschte weithin von Knossos bis Gortyna, Schiffe mit Ratlosen waren von dort an dieser Küste erschienen, und sie hatten alles erzählt, beweint vielmehr, am lautesten des Minotauros Erschlagung.
O der blutige Tor, der Theseus. Was ahnte er, welches Geheimnis er da vernichtet und was da untergegangen! Er wäre frech genug gewesen, auch hier zu erscheinen ... Aber im Übermut war er zum Hades gestiegen, um Persephone selbst, sie selbst, ins Licht zu entführen. ›Jetzt herrsche das Licht‹, war ja sein Wahlspruch, als ob er den Schatten abschaffen könnte, der Narr. Im Dunkel drum, im schwärzesten Hades nun hielten sie füglich den Dreisten. Möchte er nie entkommen!
Der andere aber, der dieser Runde fehlte, erstaunlicherweise fehlte, von diesem sprach eben der Vater des künftigen Helden, sprach Peleus. Er hatte, gleich seinem Bruder Telamon, eifrig dem schwarzen Weine zugegeben, und so war er ausführlich. Den Anfang hatte Medea, in ihren Gedanken verloren, versäumt, aber nun lauschte sie aufmerksam. Vom Lande Mysa sprach er, vor der Durchfahrt des Bosporus, wie sie da gelandet waren, lagerten, opferten und speisten, Herakles aber in den Wald ging, sich einen Stamm zu suchen, denn mit übermäßiger Kraft hatte er just sein Ruder zerbrochen.
»Bei den Weihespielen hatte er es zerbrochen. Ein großes Opfer nämlich hatten wir gebracht, der Gewaltigen, ihr, der Allesumschlingenden, der herrlich thronenden Mutter aller Götter, Rheia, gepriesen sei ihr Name.«
Peleus tauchte zwei Finger in seinen Becher, und auf den Estrich spritzte er die Tropfen des schwärzlichen Weines.
»Werden von ihr doch, der Großen Mutter, Meer und Land und alle Tiefen der Erde umschlungen, selbst die Winde beugen sich ihrem Atem. Auch der beschneite Olympos zittert von ihrem Schritt, und steigt sie über die Berge empor zum riesigen Himmel, tritt selbst Zeus, der Herrscher, zurück, und auch alle anderen der seligen Himmlischen beugen sich ihrem Wink. Wie also sollten wir Jene nicht preisen und ehren, wo das Schlimmste unserer damals noch wartete? Auf einem Hügel dort ragte uralt und verwittert, knorrig und vielverschlungen, einsam ein Rebstock. Ihn fällten wir und Argos, der Kundige, glättete ihn und trieb dann – staunend sahen wir alle zu – aus dem formlosen Holz Arme erst und Schenkel, das lockenumwallte Haupt dann, drauf die erhabenen Brüste, die immernährenden, und, mit dem letzten Schnitt, den gewaltigen Schoß der Gebärerin. Auf einen Fuß von Stein stellten wir Argos Werk, und aus Steinen türmten wir vor ihm den Altar, umkränzten mit Eichlaub die Opfer, blökend und scharrend vor Angst im roten Staub. Dann ergriff Jason das Messer, das göttinschaffende Messer des Argos: Rot sprang das Blut in den rötlichen Staub, und rot erhob sich die Flamme. Da rief Jason die Gewaltige an, unser Leben zu schonen, sie, die Lebenspendende, rief er an, und den roten Wein goss er in rötliche Glut: Steil stieg der Rauch in den bläulichen Himmel, da jauchzten wir alle, denn der Wind war verstummt, und alle Winde und Wirbel, sagte die Göttin uns an, würde sie leiten und beugen. Alle jauchzten wir laut, am hellsten des Boreas’ Söhne, die Gewänder warfen sie ab, mit ihnen alle Epheben aus unserer Runde, und wild tanzten sie nun um das Bild aus Holz und die Säule von Rauch, den heiligen Tanz tanzten sie, den Tanz der zeugenden Lenden für die gebärende Göttin, und Orpheus schlug strahlend die Leier. Da aber geschah die Verwandlung: Aus den Brüsten des göttlichen Bildes sprang köstliches Nass, zum Boden sprang es in silbernem Doppelbogen, und dort, wo es den Grund traf, öffnete sich die Erde und eine Quelle sprudelte auf, die fortan rinnt, die Quelle des Jason nannten wir sie. Die Flur aber war, bevor wir die Lider zweimal schlossen, von duftenden Blüten bedeckt, allerorten sprosste saftiges Gras, und die Zweige der Bäume ächzten unter der Früchte Überlast.«
Peleus, der im Rausch der Gesichte aufgesprungen war und mit beiden Fäusten sich auf die Tafel stützte, sah durch das Gewirr seiner Locken über Schüsseln und Becher hinweg, über Gold und Silber und Früchte hinweg, durch die bunten Blumen der ungeheuern Vasen hin zum König.
»Der schönste der Tänzer, Aietes, ist aber nicht mehr unter uns: Hylas, dieser Traum von Jugendzauber. Ah, hättet ihr ihn gesehen, bei den Spielen, wie seine goldenen Locken um seine Stirne wehten, wie seine Wangen voll zartem Flaum glühten, wie seine Flanken atmeten bei Sprung und Wirbel! Herakles geriet ganz außer sich, und er rief ihn mit den geheimen Namen, die er ihm gab, wenn sie liebend beieinander lagen: Den Schönsten hatte er sich erwählt, er, der Gewaltigste, und ich sah, wie seine Hände sich um die Keule schlossen, dass alle Sehnen spielten. Die Liebesglut loderte in ihm, und bei den Spielen, die, nach dem Gesetz, wir darauf der Göttin zeigten, übertraf er uns alle mehr denn je: Nie warf er den Stein so weit, im Sprunge ließ er uns alle wie Weiber hinter sich, und selbst meiner unerreichbaren Lanze blieb er nur um ein Geringes nach. Bei den Wasserspielen dann zerbrach er sein Ruder. Nur bei den Schwertern unterlag er: Mit Hylas war er angetreten, und wir lächelten alle. Sie haben die Klingen gekreuzt, gewiss, aber nach wenigen Schlägen fiel klirrend die Waffe des Gewaltigen zur Erde. ›O Starker du, Überwinder‹, rief Herakles, und zu Boden stürzte er und umfasste des Hylas Knie, wie der Besiegte, der um sein Leben bittet.«
Hier erhob sich großes Gelächter. Es lachten die Männer von Kolchis und alle Argonauten, es lachte der König, und selbst Medea lächelte hinter dem Schleier, trotz ihrer Ahndung lächelte sie. Peleus indessen, den Becher leerend, berichtete nun des Hylas Hingang. Wie, nach den Spielen, Herakles in den Wald gegangen, eine Fichte zu suchen für ein neues Ruder, und wie Hylas, durstig nach Tanz und Waffenspiel, sich von ihm gesondert und eine Quelle gesucht. Es war schon Abend geworden, Nacht vielmehr, aber reich an silbernem Licht. Und da geschah es, dass die Nymphe der rauschenden Quelle das Antlitz des Jünglings im vollen Monde erblickte, das Rund seiner Lippen und den Fall der goldenen Locken im Herzen erbebend erblickte und den sich Neigenden rasch in die sprudelnde Tiefe hinabzog, mit weißen Armen ihn greifend. Einer der andern hatte es wohl gesehen, aus der Feme, durch die Stämme hin, und laut rief er nun Herakles, verzweifelt die Quelle umkreisend.
»Der erschien rasch«, berichtete Peleus, »eine entwurzelte Fichte auf den Schultern, und sein Schweigen muss furchtbar gewesen sein, als er den Raub vernahm. Schweiß trat ihm auf die Stirn und rann über die zuckenden Wangen, dunkel wogte das Blut in seiner ehernen Brust. Und dann schmetterte er zu Boden die Fichte, hin warf er sie mit entsetzlichem Schrei, stürzte ins Wasser sich, rüttelte an den Felsen und schleuderte riesige Blöcke, als seien sie Kiesel. Als er triefend dann wieder ans Ufer stieg, schrie er aufs neue, wie ein Koppel von Stieren schrie er, fürchterlich mit weithinschallender Stimme. Und er lästerte auch die Große Göttin so schändlich, dass ich es nicht hier sagen kann. Wir waren ja alle herbeigeeilt und umstanden den Tobenden. Er aber höhnte uns laut, ob noch einmal wir die Opfer vollziehen, die Spiele und Tänze der Großen Mutter darbringen wollten, die ja so herrlich ihre Nymphen regiere und Leid den Frommen erspare. Dabei zog er sein Schwert, schlug in die Wellen und schwor, nicht eher den Ort zu verlassen, ehe nicht Hylas ihm wiedergegeben. Bis dahin aber werde er dieses begehen und dieses und dieses – er nannte furchtbare Greuel und drohte, er werde die Göttin selbst an ihren Flechten packen und zu Tränen und Erfüllung zwingen. Deshalb also«, endete Peleus, »ließen wir Herakles dort zurück. In derselben Nacht noch hoben wir die Ankersteine und stachen in See. Denn es grauste uns allen.«
Erschrocken plötzlich von seinen eigenen Worten setzte sich Peleus, es erstarrten die Tafelnden, nur die Wasser rauschten durch das Schweigen, die berühmten Wasser des Palastes, die unermüdlich in schneeweißen Rinnen durch Gänge, Säle und Kammern des ungeheuren Baues liefen. Und auch das Harz der Fackeln in den Kupferringen der Mauern knisterte; denn es war ja Nacht geworden, auch hier, bei diesem Mahle, das nicht endete. Wie Sterne durch jagende Wolken leuchteten die Stirnen der edlen Gäste durch den Rauch der Fackeln, eine jegliche trug, dem Sehenden sichtbar, das Zeichen des Vaters: der dort, sah klopfenden Herzens Medea, war wahrlich ein Sohn des Poseidons, und jene beiden des Hermes Sprossen. Welch eine Runde! Aber der Stolze mit rötlichem Flaum an den Wangen, der Jüngste fast und doch der Führer, Jason, er, den sie kaum zu betrachten wagte – er allein hatte gegen alle Sitte Herkunft und Ahnen kaum genannt. Den Vater zwar, einen König aus Hellas, Aison, hatte er flüchtig erwähnt, doch ganz die Mutter verschwiegen. Nur von der Höhle des Chiron hatte er lange gesprochen und wie er dort wahrlich zum zweiten Male geboren, wie der Kentaur ihn erst zu dem gemacht, der er war und ihm auch den Namen verliehen, den er jetzt trug: Jason, des Lebens Kraft. O, sie strahlte aus ihm, die Kraft unsterblicher Jugend ... hinter dem Schleier senkte Medea errötend die Augen, wiederum fragend: Was führte diese wohl her, diese Reihe leuchtender Stirnen?
Da geschah es, in die noch immer lastende Stille hinein geschah es: Ein Knistern erst im Gebälk, ein dumpfes Rollen der Erde drauf, und dann der Schlag, der den Palast traf, dass die Mauern erbebten. Die mächtigen Flügel der Doppeltür sprangen auf, klirrend fielen die Riegel zu Boden. Draußen, im vollen Licht des Mondes, zitterten die roten Säulen der Vorhalle. Und jetzt hörten alle, wie die felsigen Flanken des kaukasischen Gipfels knirschten, schwarz erhob sich die Wand in den sternendurchwanderten Himmel, ein Rasseln von Ketten ging durch die Nacht, die den Atem anhielt, aber droben strömte ein Atem aus, ein Titanenatem unsäglicher Qual: Prometheus schrie. An seinen Ketten riss er, die Felsen erschütterte er, mit seinem Schicksal rang er unter dem Licht des vollendeten Mondes.
Jene, denen er die Geräte gestiftet hatte, das Feuer im Kamin und die Flamme der prasselnden Fackeln, verhüllten in ihren Hütten ihr Haupt und griffen nach einander in ihrer Angst. Im Saal aber waren alle aufgesprungen und starrten durch die schwankenden Säulen der Vorhalle zum schwärzlichen Gebirge. Nur des Königs Familie saß starr, Aietes inmitten in goldenem Mantel, wie Blut leuchteten die Hörner des Stieres auf seinen Schläfen, und aus der dunklen Flut seiner Locken strahlte die goldene Scheibe.
Noch einmal rasselten die Ketten aus nachtumhüllter Höhe, ein Steinschlag prasselte hernieder, dann ward es still, nur einige verspätete Blöcke stürzten noch donnernd nach.
Aietes sprach: »Die Erde erbebt, die Nacht ward zerrissen, der Titan bewegt sich, Zeichen geschehen. So sagt mir, Fremde, die ich gastlich aufnahm an meiner Tafel, ihr, mit denen ich die Speise teilte und den dunklen Wein: Was führt euch hierher? Von den Beschwernissen eurer Fahrt vernahmen wir vieles, von Streit mit barbarischen Stämmen und von der Bezwingung des tobenden Meeres. Sagt mir nun, was euch trieb, dies alles zu bestehen. Wenn Titanen sich rühren, ändert sich eine Welt.«
Jason legte den Kopf zurück, fest sah er den König an: »Die Nacht bewegt sich, der Titan erhebt seine Stimme. Dunkel sind die Zeichen in deinem Lande, Aietes. Auch wir erfuhren Zeichen der Mächte auf unsrer Fahrt. Das größte von allen war – und ich gedenke dessen in dieser Nacht beim Titanenschrei – als uns der Goldene erschien, Letos Sohn, Apollon, er selbst, auf dem thynischen Eiland, in frühester Stunde, da nicht mehr Nacht war und noch nicht Tag, nur rötlicher Schimmer breitete sich rings. Da erschien er, der Goldene, aus Lykien eilend zum Land der Hyperboräer. Wie Traubendolden umwallten die leuchtenden Locken die Wangen des atmenden Gottes, in seiner Linken trug er den silbernen Bogen, von seiner Schulter glänzte der Köcher mit Pfeilen. Auch da, Aietes, bebte der Grund, die Insel erzitterte, wild erhob sich das Meer an den Küsten. Wir blickten zu Boden, wie er uns streifte, denn keiner wagte das Auge zum Gott zu erheben. Er aber schritt dahin, in goldenem Donner schritt er dahin, über das weite Meer und durch die singenden Lüfte, zum Land der Hyperboräer. Auch das war ein Zeichen, Aietes.«
Mit einer Bewegung schob er Teller und Schüsseln zur Seite, löste die goldene Agraffe an seiner Brust und warf den purpurnen Doppelmantel über die dunkelglänzende Platte aus kaukasischer Eiche. Der Saum war mit kunstvoll verschlungenen Szenen verziert, und dem König wies nun Jason Bild nach Bild: die Kyklopen, wie sie die Blitze des Zeus schmiedeten; Apollon, wie er mit seinen unfehlbaren Pfeilen den Titanen Tityos durchbohrte; Aphrodite auch, wie sie sich lachend im Schilde des Ares spiegelte, es fiel ihr von den schimmernden Schultern, die göttliche Brust entblößend, das Gewand; lachend spiegelte sie sich im Schilde des Ares, als fasste sie jetzt den Entschluss zu Leichtsinn und üppiger Lust.
Auch Taten der Helden waren am Saum gebildet, und lächelnd den Amphion anblickend, der neben ihm stand, zeigte Jason das Bild, wo dieser die Leier schlug, auf dem Hügel von Theben, so dass sich die Steine selbst bezaubert zur Mauer fügten.
»Solcher Art sind meine Gefährten«, sagte Jason, »und solches geschieht in Hellas, das wir alle, die wir hier um deine Tafel stehen, mit der Kraft unsrer Arme und Herzen bauen, ein Land des Lichts, voll grüner Wiesen und runder Frucht, voller Getier auch und reich an sprudelnden Quellen. Diesem Lande dienen wir, König, und das Licht unserer Tage dient uns nur, Hellas zu bauen, den Menschen zur Lust und den Göttern ein Wohlgefallen.«
Jason hielt einen Augenblick inne, und dann legte er den Finger auf jene Stelle des Saumes, wo Phrixos gebildet war, dem goldenen Widder lauschend, dem mit Sprache und Weisheit begabten, den ihm Hermes einst schenkte.
»Ich brauche ihn nicht zu nennen«, fuhr Jason fort, »du erkennst ihn gewiss, der zu dir kam, durch die Lüfte auf goldenem Widder, Chalkiope dort an deiner Seite gabst du ihm zur Gattin, und in deinem Palaste schied er dahin. Des Widders Fell aber, das Phrixos treulich bewahrte, nachdem er das göttliche Tier dem Gott des leuchtenden Himmels geopfert, das du nun hütest, Aietes, das Goldene Vlies, befahl uns Apollon selbst, durch Dampf der Erde und stammelnden Mund seiner Priesterin zu Delphi, heimzubringen nach Hellas, der Heimat. Darum kamen wir her und trotzten Stürmen und Feinden. Ich weiß, wir bitten um Großes, doch die Söhne der Götter müssen als erste den Willen der Väter erfüllen.«
Zum zweiten Male an diesem Abend breitete sich tödliches Schweigen, nur die Wasser rauschten in den schneeweißen Rinnen durch Gänge und Säle des Palastes. Endlich sprach Aietes, noch immer sitzend, aber umwölkter Stirn schon: »Hier, wo die heiligen Wasser strömen, wo Freundschaft gerne den Freund empfängt, werden des Gastrechts Gesetze keinen Schimpf erfahren. Hättet ihr nicht zuvor an meiner Tafel gesessen, wahrhaftig, ich handelte anders. Aber so geht hin, geht schnell hin, besteigt noch diese Nacht euer Schiff und lichtet die Ankersteine. Denn wenn der Morgenstern über dem Berg dort erblasst, erlischt auch das Recht des Herdes und werdet ihr mir als Räuber und Plünderer gelten.«
Sehr langsam zog Jason seinen Mantel zurück, warf ihn über die Schultern und, während er die goldene Spange auf seiner Brust schloss, erwiderte er: »Auch dies scheint Gesetz zu sein, Aietes, dass nie das Alte dem Neuen kampflos weichen will. Mit Kampf drohst du, ich sagte die Bitte, und ohne Gegengeschenk wären wir nicht geblieben –« Jason wies mit einer weiten Geste auf seine Gefährten. »Die Arme von diesen allen hätten dir gerne gedient, für eine Frist, die Arme von Söhnen aus Göttern, zu deinem Ruhme hätten sie dir gedient. Doch wenn es sein soll, kannst du sie anders erproben.«
Jason stieß seinen Sessel um, trat einen Schritt zurück; und mit ausgestrecktem Arm wies er auf die Krone des Königs: »Ein Weltjahr ist um. Du weißt es genau und trachtest gleichwohl zu halten, was längst nicht mehr dir gehört. Gewiss, du König des östlichen Endes, birgt sich noch immer dein Vater hier in den dunklen Fluten des Meeres vor seinem erneuten, dem unermüdlichen Aufgang, aber die Zeit des Lebens, des Blühens, des schwellenden Samens, den farbentrunkenen Frühling kündet er längst nicht mehr aus jenem Hause da droben –« Jason wies, vom König lassend, mit der ausgestreckten Rechten durch die Säulen der Vorhalle zu einem Punkt des flimmernden Himmels – »das nach den Stieren heißt, jetzt kündet er Freude im Widder. Solltest du die Wege deines Vaters nicht kennen, Aietes, hast du vergessen, du Sohn der Sonne, dass sich die Götter nur selten zeigen, aber durch Zeichen reden? Du hast ja Augen, Aietes, und gewiss sähest du, als du damals Kirke, die Schwester, mit dem Wagen des Vaters zur westlichen Insel brachtest, gewiss warfst du einen Blick hinab auf das blühende, auf das Frühlingsland, auf unser Hellas. Und magst du uns drohen, wir werden nicht die Ankersteine in dieser Nacht lichten, wir werden nicht als Räuber beschimpft und unvollbrachter Tat dies Land verlassen. Dein Weltjahr ist um und Streit soll sein. Streiten wir denn um das goldene Vlies. Es gilt für uns beide: Sieger wird, wer das Schutzbild birgt in seinen Marken, und Herr der Zukunft, wer sich wandeln kann.«
Auch Aietes war jetzt aufgesprungen. Der Zorn drohte ihn zu übermannen. Gleichwohl hielt er an sich und erwiderte, mit zuckendem Munde freilich: »Das sind große Worte. Himmel und Erde bewegst du, und selbst am bestirnten Zelt deutest du pfiffig herum. Und dabei hatte ich recht, wenn ich dich einen ganz gewöhnlichen Räuber nannte. Denn schon hast du dich verraten, du Herr der Zukunft: Zu nichts anderem kamt ihr her, als mir Krone und Szepter zu rauben.«
Aietes war sehr großartig in diesem Augenblick. Zwar zuckte es in seinem Gesicht und war seine Stimme schneidend, aber, ein König wirklich, stand er an der Spitze der zerrütteten Festtafel. Blutrot leuchteten die Hörner an seinen Schläfen, und im Lichte der Fackeln flimmerte die goldene Sonne. Mit der Hand zerteilte er den Rauch, den ein Stoß nächtlichen Windes um ihn geworfen hatte, und fuhr fort: »An dieser Tafel werden wir nicht entscheiden, wer dieses Streites Meister ist. Auch werden wir nicht prüfen, ob Söhne der Götter zu deinem Raubzug sich gesellen. Dir sei die Probe auferlegt, da du das große Wort führst. Gehe ungehindert jetzt, Jason, zu deinem Schiff. Nur morgen auf dem heiligen Acker werden zwei Stiere auf dich warten. Ehern sind ihre Hufe, wütend ihr heißer Atem, niemand konnte sie je bezwingen. Mit den Stieren werde ich dich erwarten und mit ehernem Joch. Wenn du göttlichen Ursprungs bist, und wenn der allwissende Kentaur wirklich dich aufzog, wirst du jene bezwingen und leicht ihren Nacken unter das eherne Joch beugen. Dies sei das Erste. Und wenn du das vollbracht, werde ich dir den kupfernen Kessel reichen mit den goldenen Körnern des Weizens. Treibe dann die Stiere, Jason, mit ehernem Joch und ehernem Pflug durch den Acker, streue die goldene Saat – und gerne wollen wir sehen, ob sich das Wunder vollzieht, von dem uns Peleus so blumig erzählte, gerne werden wir sehen, ob sich die Herrin der Tiefe, die lebenspendende Mutter, zum andern Male dir gnädig erweist. Ob aus den braunen Schollen segnend die Saat entsprießt.«
Aietes hatte am Schluss sehr ruhig, fast ohne Vorwurf gesprochen. Jetzt blitzte es noch einmal in seinen Augen, wie er hinzufügte: »Zeige denn Widder, ob du den Stier besiegst!«
Jason erwiderte kein Wort. Noch einmal ließ er den Blick durch die Halle gleiten, und Medea war es, als hefteten sich seine Augen für die Zeit eines Herzschlags forschend auf ihren Schleier. Er konnte sie doch nicht sehen, nicht durch das Gewebe dringen, gleichwohl setzte ihr Herz aus. Was ist das Herz? Sie wusste es nicht, sie hatte es nie erfahren, es war da, in ihr, gewiss, aber bis heute hatte sie nicht gewusst, dass es ein eigenes Leben hat, dass es erstarren kann in unbegreiflichem, süßem Entsetzen und dann jagen kann, bis zum Schmerz, und atemlos macht, wo man doch sitzt, und seiner nicht bedarf, man hatte doch nichts getan, kein Wort gesagt, kein Glied geregt – und plötzlich war kein Atem mehr da, und das Herz jagt in der schmerzenden Brust. Ach, wie er jetzt um die Tafel ging und das Licht der Fackeln noch einmal bei einer Wendung des Hauptes den rötlichen Flaum seiner Wangen erblühen ließ, wusste sie: Was es ist, weiß ich nicht, aber dieser hat Macht über mich, für ihn könnte ich alles begehen, blind könnte ich ihm folgen, soll ich ihm folgen? Der Vater wird ihn verderben, nie besteht er das, der Vater ist grausam, alles ist dunkel hier, Jason ist hell, ich muss ihn retten, o mein Herz, mein Herz ...
Jason schritt, von den Gefährten gefolgt, durch die Doppeltür. Seit dem Schrei des Titanen hatte sie niemand geschlossen. Die roten Säulen standen im Licht des vollen Mondes. Ein Nachtwind vom Meer schlug Jason entgegen. Aufrauschte sein Purpurmantel, und die Bilder des Saumes schimmerten. Ah, er war von den Göttern und umhüllt von göttlichen Taten. Medea atmete schwer, und sie wusste nicht, dass sie es wirklich sagte, hinter ihrem Schleier leise sagte: »Dein Mantel ist weit, nimm mich mit.«